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- Präsident des ökosozialen Forums Europa

Vizekanzler a. D. DI Dr. h.c. Josef Riegler ist der Vater der Idee einer ökosozialen Marktwirtschaft. 1988 erstmals artikuliert, hat diese Idee in der Zwischenzeit als "Global Marshall Plan für eine ökosoziale Marktwirtschaft" den Siegeszug rund um die Welt angetreten....

Vizekanzler a.D. DI Dr. h.c. Josef Riegler hat eine eindrucksvolle Laufbahn hinter sich. 1938 in Judenburg in der Obersteiermark geboren hat er an der Universität für Bodenkultur in Wien studiert, war dann landwirtschaftlicher Fachlehrer, Generalsekretär der Katholischen Aktion Steiermark und Direktor der Landwirtschaftlichen Fachschule Stainz. Er wechselte als Direktor zuerst in den Steirischen Bauernbund, später in den österreichischen Bauernbund und war in dieser Zeit Abgeordneter zum Nationalrat. Er kehrte als Landesrat für Umwelt, Landwirtschaft und Wohnbau in die Steiermark zurück und war danach Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft und von 1989 bis 1991 Vizekanzler der Republik Österreich. Nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik gründete er 1991 das ökosoziale Forum Österreichs, seit 2001 ist er Präsident des ökosozialen Forums Europa. Gemeinsam mit Franz Josef Radermacher rief er den Global Marshall Plan ins Leben!

Schaller: Herr Vizekanzler, Sie waren Ihr halbes Leben in verschiedenen Funktionen in der Politik tätig und haben es bis zum Vizekanzler der Republik Österreich gebracht. Als Landesrat in der Steiermark und später als Minister auf Österreichebene waren sie für Landwirtschaft und Umwelt verantwortlich und Sie haben damals Schwierigkeiten gehabt, dass man Sie mit Ihren Vorstellungen einer ökosozialen Marktwirtschaft ernst nimmt. Nun hört man immer öfter den Begriff Nachhaltigkeit, der Begriff ökosoziale Marktwirt-schaft hat seinen Siegeszug in Europa angetreten und sie gehören zu den Verfechtern eines Global Marshallplan. Ist es eine Genugtuung für Sie, dass Ihre Vorstellungen nun langsam aufgehen?

Riegler: Ja sicher, aber meine persönliche Prägung kommt doch sehr stark aus der bäuerlichen Welt. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und hab einen großen Teil meines Lebens in diesem Bereich gewirkt. Das heißt, mir ist das Phänomen von Saat und Ernte und auch die Notwendigkeit eines gewissen Zeitablaufes für Dinge, die heranreifen, selbstverständlich. Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn manches rascher erkannt und auch durchzusetzen gewesen wäre. Aber ich sehe das jetzt wirklich zum Teil als das Ergebnis von Bemühungen, die längere Zeit zurück liegen. Das heißt, eine Saat ist ausgebracht worden und da und dort beginnt etwas aufzugehen. Und insofern ist das Projekt "Global Marshall Plan für eine weltweite ökosoziale Marktwirtschaft" die Krönung eines Lebenswerkes. Es ist etwas sehr Befriedigendes zu erkennen, dass in Europa und darüber hinaus erkannt wird, dass das eigentlich die Idee für das 21. Jahrhundert ist.

Schaller: Bei dem Begriff "Sozial" denken viele Menschen sofort an den Begriff "Sozialismus". Sie versuchen mit der ökosozialen Marktwirtschaft die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, nämlich die Umwelt, die Wirtschaft und soziale Aspekte unter einen Hut zu bringen. Was steckt hinter dem Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft, wie kann man sie in kurzen Worten erklären?

Riegler: Ökosoziale Marktwirtschaft ist das Suchen nach der richtigen Balance zwischen einer wettbewerbsstarken Wirtschaft, einer jeweils konkreten Wahrnehmung sozialer Verantwortlichkeit im Sinne der Solidarität, der bewußten Unterstützung für Benachteiligte und Schwächere und als das dritte Standbein die Ökologie im Sinne der Nachhaltigkeit, im Sinne der Verantwortung für eine lebenswerte Umwelt auch für künftige Generation. Das Spezifische am Modell der ökosozialen Marktwirtschaft ist, dass wir durchaus eine offensive wirtschaftliche Entwicklung wollen, d.h. wo man der Wirtschaft Barrieren wegnehmen kann, soll man das tun. Man muß stark auf Innovation, auf moderne Technologie setzen, aber nicht zum Selbstzweck, sondern in dem Verständnis der Wirtschaft als Beitrag für das Gemeinwesen. Das heißt, nur eine erfolgreiche Wirtschaft ist auch in der Lage, soziale Leistungen finanzieren zu können und auf der anderen Seite, und das war glaube ich die neue Innovation im Modell der ökosozialen Marktwirtschaft, soll sich Umweltschutz rechnen. Das heißt, es geht um die korrekte Kostenzurechnung und es geht darum, dass die Förderungen nicht zugunsten des Raubbaues, der Nicht-Nachhaltigkeit vergeben werden, sondern dass das umgepolt wird, dass Förderung für Nachhaltigkeit vergeben wird. Das ist meine Lebenserfahrung, nur wenn das gelingt, dann wird aus dem Vorhaben nachhaltige Entwicklung wirklich Realität.

Schaller: Wenn Sie jetzt zurückschauen bzw. den Status quo mit dem Idealbild vergleichen, wo befinden wir uns in Österreich oder in Europa im Hinblick auf den Weg zu einer ökosozialen Marktwirtschaft?

Riegler: Zunächst hat Mittel- und auch Nordeuropa ein gewisses Erbe an sozialer Marktwirtschaft, unterschiedlicher Ausprägung, aber dieses Modell der Balance zwischen Wirtschaft und Arbeit ist seit den 50er Jahren kultureller politischer Besitzstand Europas, gerät jetzt allerdings durch eine unfaire Globalisierung immer stärker unter Druck. Ich habe 1988 diesen Grundgedanken der öko-sozialen Agrarpolitik definiert, eben als Gleichklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Wir haben mit der ökosozialen Agrarpolitik in Österreich für Europa Vorbildfunktion sein können. Wir haben in Österreich, speziell auch in der Steiermark im Bereich des Umweltschutzes Einiges zustande gebracht, auch in der Umstellung von rein regulativem Umweltschutz auf einen Umweltschutz, der wirtschaftlich fundiert ist und wir haben auch hier beachtliche Erfolge im Bereich der Wirtschaft. Für Europa sehe ich, dass das europäische Modell der Landwirtschaft ein Ergebnis des öko-sozialen Gedankengutes ist. Wir haben mit der EU-Nachhaltigkeitsstrategie 2001 in Göteborg beschlossen, das Modell auch auf europäische Ebene bringen zu können. Natürlich ist noch wahnsinnig viel zu tun, aber das eigentliche Problem sehe ich derzeit, dass die globale Entwicklung genau gegenteilig läuft. Das heißt, dass ein sehr zugespitzter kapitalistischer Wirtschaftszugang da ist, der sehr vieles, auch in Europa, in Frage zu stellen beginnt. Und darum ist mir dieses Konzept "Global Marshallplan für eine weltweite ökosoziale Marktwirtschaft" so wichtig im Sinne einer Zukunftsstrategie.

Schaller: Jetzt haben Sie ja gesagt, dass in Göteborg 2001 Nachhaltigkeit als das Prinzip für die Europäische Union beschlossen worden ist. Wie weit kann sich die EU von der weltweiten Entwicklung abkoppeln?

Riegler: Die EU hat als ein sehr großer Markt mit 450 Millionen Menschen mit einem sehr starken Binnenmarkt schon sehr große Möglichkeiten der eigenen Gestaltung. Aber Tatsache ist, dass wir immer mehr erkennen, wenn die globale Entwicklung schief läuft, und das tut sie derzeit, dann kommt auch Europa immer mehr in Bedrängnis bzw. die einzelnen nationalen Volkswirtschaften. Und wir sehen das ja auch bei uns in Österreich, das gleiche sieht man in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, wo auch immer. Wir haben riesige Probleme mit der Beschäftigung, einfach weil uns Beschäftigung ausrinnt in Richtung der Billig-Lohn-Regionen, das heißt aber, dort werden Menschen auf schamlose Weise ausgebeutet. Und gleichzeitig schafft das für uns einen unfairen Wettbewerb. Das gleiche ist für uns im Bereich der Umwelt und in vielen anderen Bereichen. Darum ist meine Überzeugung, dass man beginnen muss, dieser Schieflage auf der Welt gegen zu steuern. Nur dann haben wir längerfristig eine Chance, unser europäisches Modell von einer ausbalancierten Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialgestaltung auch weiterführen zu können.

Schaller: So weit ich ihn kenne, ist ja der Global Marshall Plan ein Versuch, dieser weltweiten Schieflage entgegen zu steuern. Was ist da der Ansatz?

Riegler: Der Ansatz ist ein zweifacher. Es geht um eine klassische WIN-WIN-Strategie, nämlich auf der einen Seite wollen wir, dass den ärmsten Teilen der Welt viel effizienter geholfen wird. Dazu braucht man neues Geld und da schlagen wir vor, dass die globalen Kapitaltransfers, der globale Handel mit einer minimalen Abgabe für die Finanzierung beiträgt. Dazu gehört das partnerschaftliche Modell, das heißt Kooperation zwischen dem reichen und armen Teil der Welt in der Realisierung der Entwicklungsziele, die ja von der UNO definiert wurden: Halbierung der ärgsten Armut, Grundschule für jedes Kind, Verbesserung der Rechte für die Frauen, Gesundheit, Umweltschutz und so weiter. Die Ziele sind definiert. Es geht darum, sie auch zu realisieren. Das ist der eine Teil. Und der zweite Teil ist im Sinn der WIN-WIN-Strategie, dass wir wollen, dass der ärmere Teil der Welt auch in die Lage versetzt wird und bereit ist, soziale und ökologische Mindeststandards zu realisieren und auch umzusetzen. Gleichzeitig wollen wir auch die globalen Institutionen, die derzeit oft Gegenstand der Kritik und des Angriffes sind wie die Welthandelsorganisation, die Weltbank etc. nützen, indem wir diese globalen Instrumente mit dem richtigen Programm ausstatten. Das heißt nicht einseitig Ökonomie, sondern genau dieses balancierte Modell Wirtschaft, Soziales und Umwelt.

Schaller: Wie weit sind sie da in der Umsetzung?

Riegler: Das nächst Etappenziel, für die nächsten Monate ist, dass wir die Kommission der Europäischen Union dazu gewinnen wollen, dieses Konzept als offizielle europäische Initiative auf die Ebene der UNO zu bringen. Es werden im September in New York die UNO Veranstaltungen "5 Jahre Entwicklungsziele" stattfinden, das ist eine ideale Gelegenheit, dieses Projekt zu präsentieren. Wir wollen, dass die Europäische Union mit diesem Projekt in die Verhandlungen in die Welthandelsorganisation geht etc. Das heißt, die Europäische Union ist sozusagen der Hebel, mit dem man dieses Projekt auf die Weltebene hieven kann. Ich bin davon überzeugt, dass es gelingen wird, sehr viele Freunde und Partner weltweit für dieses Anliegen zu gewinnen. Sowohl aus der sogenannten "3. Welt" wie hoffentlich auch aus dem Bereich der Industrienationen. Und ich hoffe auch, dass auch die USA zumindest in absehbarer Zeit auf solch eine globale Positivstrategie einsteigen wird.

Schaller: Wenn man sich das Spektrum der Europäischen Union anschaut. Stehen da schon alle Länder dahinter, ist das die Initiative einer Gruppe um das öko-soziale Forum oder wird das schon von Regierungen getragen?

Riegler: Es war zunächst natürlich eine Initiative der klassischen Zivilgesellschaft. Ökosoziales Forum Europa, Club of Rome und einer Reihe anderer Organisationen und es werden erfreulicherweise immer mehr. Was auffällt, ist, dass zwar nicht das komplette Modell, also "Global Marshallplan für eine ökosoziale Marktwirtschaft", aber zumindest Einzelbestandteile doch immer pointierter von höchst rangigen Politikern in der EU verfochten werden. Ich verweise auf den französischen Präsidenten Jaques Chirac, der beispielsweise die globalen Abgaben für die partnerschaftliche Finanzierung mehrmals bis hin zur UNO Generalversammlung verlangt hat. Ich verweise auf Großbritannien, das in der Vorbereitung sowohl des G8-Gipfels wie auch der EU-Präsidentschaft das Thema Afrika ins Zentrum rücken möchte und ebenfalls die Frage der Entwicklungsfinanzierung. Und es gibt eine ganze Reihe von Aktivitäten, die in diese Richtung laufen. Was uns gelingen muss, dass ist die Verschränkung, d.h. Entwicklungsfinanzierung, partnerschaftliche Entwicklungskonzeption und Schaffung der ökologischen und sozialen Standards auf Weltebene.

Schaller: Ich nehme an, der Begriff Global Marshall Plan ist ganz bewußt gewählt in Erinnerung an den Marshallplan, mit dem Europa wieder aufgebaut worden ist. Was sind Ihrer Einschätzung nach die Perspektiven, wie lange es dauern wird, bis sozusagen weltweit im Entwicklungprozess einiges in Gang gebracht wird.

Riegler: Unsere Wunschvorstellung in der Zeitperspektive ist, dass 2007 "Rio + 15", sprich die große Weltkonferenz in Rio, die ja der große Anstoß war für nachhaltige Entwicklung und Entwicklungschancen in der Welt, dass man dort zu Entscheidungen kommt und dass sozusagen die halbe Zeit für die Realisierung der UNO-Entwicklungsziele bis 2015 genützt werden kann. Das ist die konkrete Zeitvorstellung. Zum Namen. Es stimmt, der Name wurde gewählt, weil er in Europa zumindest ein Symbol ist für "Hilfe zur Selbsthilfe", aber auch für eine WIN-WIN-Strategie. Aber wir wissen, dass der Begriff Global Marshall Plan in anderen Teilen der Welt durchaus unterschiedlich aufgenommen wird. Daher ist ja auch die Botschaft dazu zu schicken, es handelt sich in Wahrheit um einen global solidarity plan, das heißt um ein Konzept, das Solidarität in beidseitigem Interesse weltweit umsetzen will.

Schaller: Wenn man dieses klassische Modell hernimmt, zum einen die reichen Länder, zum anderen die Entwicklungsländer. Wie groß ist das Interesse an diesem Global Marshall Plan seitens der Entwicklungsländer? Gibt es da so etwas wie einen Druck von unten, dass so etwas in Gang gesetzt wird?

Riegler: Diesen Druck von unten spüre ich noch zu wenig. Es hängt wohl auch damit zusammen, dass es eine Initiative aus dem deutschsprachigen Raum war und wir eben dabei sind, das jetzt europäisch und weltweit zu transportieren. Vielleicht ist das überhaupt eines der Probleme, dass die schwierig ist, dass Initiativen vom ärmsten Teil der Welt kommen. Jetzt geht es meines Erachtens um die kluge Balance, dass man nicht bevormundend auftreten soll, aber doch sagen muss, es müssen wahrscheinlich Initiativen von dem Teil der Welt kommen, der einfach die Potentiale dazu hat. Und man muss schauen, in einer klugen Form des Zuganges und der Partnerschaft, den armen Teil einzuladen, aktiv in dieses Solidaritätsprojekt einzusteigen.

Schaller: Ich möchte zu den persönlichen Formulierungen kommen. Was bedeutet für Sie persönlich Nachhaltigkeit?

Riegler: Nachhaltigkeit ist die Wahrnehmung der Verantwortung zugunsten der Kinder und Kindeskinder. Das heißt, wir haben ihnen eine Erbe zu hinterlassen, das lebenswert ist.

Schaller: ... und die ökosoziale Marktwirtschaft...

Riegler: Für mich bedeutet ökosoziale Marktwirtschaft die richtige Balance zwischen einer leistungsfähigen Wirtschaft, gelebter sozialer Solidarität und dem Schutz der Umwelt im Sinne nachhaltiger Entwicklung.

Schaller: Und was ist für Sie persönlich der Global Marshall Plan

Riegler: Für mich ist der Global Marshall Plan eine, nein die Erfolgsstrategie im Interesse aller Teile der Welt. Das heißt, faire Entwicklungschancen für die, die derzeit benachteiligt sind, und auf der anderen Seite einen fairen Wettbewerb für die bereits entwickelten Volkswirtschaften und Staaten.

Links:

Literaturtipps:

  • Welt in Balance: Zukunftschance Ökosoziale Marktwirtschaft
  • Global Marshall Plan: Mit einem Planetary Contract für eine Ökosoziale Marktwirtschaft weltweit Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglichen
  • Global Marshall Plan: Ein Planetary Contract

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