/ Vortrag am European Training Centre for Human Rights and Democracy (ETC) in Graz, am 29. Oktober 2003, 19.00 Uhr
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Zuerst einmal möchte ich Prof. Benedek herzlich für die Gelegenheit danken, hier und heute einen Vortrag zum Thema "Guatemala vor den Wahlen - zur Situation von Menschenrechten und Demokratie" halten zu dürfen. Das Thema und der Termin sind so wie der Ort nicht zufällig gewählt:
Der Ort hat mit dem Engagement des ETC im Bereich der Menschenrechte zu tun und vor einigen Jahren, als ich noch Generalsekretär der Katholischen Aktion in der Steiermark war, habe ich eine Zeitlang versucht, bei der Definition der kulturellen Menschenrechte mitzuwirken.
Der Termin steh t in einem direkten Zusammenhang zu den Wahlen, die in wenigen Tagen in Guatemala stattfinden und die, wie ich später noch ausführen werde, dies-mal einen besonders dramatischen Aspekt haben.
Und das Thema hat mit zwei persönlichen Zugängen zu Guatemala zu tun. Ich kenne Guatemala und die Entwicklung des Landes seit der Mitte der 80'er Jahre und von in der Zwischenzeit acht oder neun Reisen in dieses mittelamerikanische Land. Die letzten drei Reisen waren für mich von besonderer Bedeutung. 1999 war ich bei den Präsidentenwahlen bei beiden Wahldurchgängen als Wahlbeobachter für die Europäische Union im Einsatz und ich bin erst vor etwas mehr als zwei Wochen von einer siebzehntägigigen Reise durch Guatemala zurückgekommen, bei der ich mit einem Team des ORF Steiermark unterwegs war, um für ein Österreichbild am Sonntag zu drehen.
Das was ich Ihnen mitteilen werde, ist somit eine Mischung aus Zahlen und Fakten, aus Erlebtem und Beobachtetem. Ich werde meinen Vortrag daher entspre-chend der Ankündigung in drei Teile teilen:
ich werde Ihnen ein wenig über Guatemala erzählen, damit Sie einen Überblick über dieses wunderschöne Land in Mittelamerika bekommen,
ich werde versuchen, die kommenden Wahlen samt dem politischen Umfeld zu beleuchten und dabei auc h auf die Frage der Wahlbeobachtung eingehen,
und ich werde drittens versuchen, einen Einblick auf die Menschenrechts-situa-tion im Land zu geben, wie sie sich uns bei dieser Reise vor allem durch persönliche Begegnungen, Projektbesuche und Berichte von Menschen dargestellt hat, die im Menschenrechtsbereich tätig sind.
Punkt 1: Guatemala - farbenfrohes Land in Mittelamerika
Guatemala liegt in Zentralamerika, wo es im Norden an Mexiko grenzt, im Süden an El Salvador und im Osten an Honduras und Belize. Es ist zwischen Pazifik auf der einen Seite und die Ausläufer der Karibik auf der anderen Seite eingebettet.
Ähnlich wie Mexiko ist es ein Land, das von seiner indianischen Kultur sehr stark ge-prägt ist. Im ganzen Land gibt es Ausgrabungen aus der Zeit der Maya, ein Großteil der Bevölkerung ist indigener Abstammung und das erlebt man auf Schritt und Tritt. Die Frauen tragen im ganzen Land noch zu einem sehr großen Anteil ihre typischen Trachten, die sich von Ort zu Ort im Muster und in der Farbkombination unterscheiden. Die Frauen wirken dadurch auch in ihrer Armut sehr würdevoll. Die Männer haben die Trachten schon sehr früher abgelegt, hier sieht man nur mehr vereinzelt Männer mit der typischen Kleidung. Sie tragen "modische" Kleidung, in der sie arm und schäbig aussehen.
Offizielle Zahlen besagen, dass rund 60% der Bevölkerung indianischer Abstammung sind, rund 30% Ladinos und der verbleibende Rest der Bevölkerung Schwarze, Mulatten und Zambos sind, das ist eine Mischung aus Indios und Schwarzen.
Die indigene Bevölkerung gehört einer der dreiundzwanzig Maya-Gruppen an, von denen die bedeutendsten die Mam, Qui'k Che und die Kakchiquel sind, die auch ihre eigene Sprache sprechen und sich untereinander nur über Spanisch, die Sprache der Eroberer, miteinander verständigen können. Spanisch wird vor allem am Land erst in der Schule gelernt, was dazu führt, dass viele Indigena entweder schlecht Spanisch sprechen oder, wenn sie weiblich sind und bereits früh auf Geschwister aufpassen mußten oder am Feld mithelfen mußten, die Sprache überhaupt nicht beherrschen. Was man am Vermögen, sich in der spanischen Sprache auszudrücken sieht, kann man auch bei der Fähigkeit des Schreibens und Lesens beobachten. Die Analphabetenrate ist sehr hoch und es sind deutlich mehr Frauen als Männer, die weder Schrei-ben noch Lesen können und statt Ihrer Unterschrift oft nur einen Daumenabdruck unter ein Dokument setzen.
80% der Bevölkerung sind römisch katholisch, 19% gehören protestantischen Kirchen oder evangelikalen Sekten an, die von den USA her kommend immer mehr an Einfluß gewinnen. Es gibt kaum ein Dorf, in dem nicht drei oder vier Kirchen oder Tempel vorhanden sind, in dem sich die Gruppen nicht um die Gunst der Menschen raufen und ihnen sehr oft auch mit der Verkündigung des Evangeliums eine Botschaft mitteilen, die davon geprägt ist, dass sich die Menschen in ihr Schicksal fügen sollen, weil dies von Gott so gewollt ist und weil es im Jenseits besser für sie sein werde. Diese Botschaft wird vor allem von den evangelikalen Sekten verbreitet, die traditionellen Kirchen, und dazu sind die Katholische Kirche und die großen protestantischen Kirchen zu zählen, versuchen, den Menschen durch soziale und wirtschaftliche Programme aus ihrem Leid heraus zu helfen.
Guatemala ist ein Land, das vor allem landwirtschaftliche Produktion exportiert, wozu vor allem Kaffee, Bananen und Zuckerrohr in seiner rohen und in seiner verarbeiteten Form gehören. Es gibt einen großen informellen Sektor, d.h. Menschen, die als Straßenhändler/innen, Handwerker und ähnliches ihr Leben fristen, ohne eine soziales Absicherung durch Kranken- und Pensionsversicherung zu besitzen.
Guatemala ist ein sehr junges Land. Frauen bekommen oft mit 12 oder 13 Jahren bereits ihre ersten Kinder, die Familien haben in der Regel drei und mehr Kinder, weil diese ja auch eine Form der Altersversorgung darstellen. Mit einer stark wachsenden Bevölkerung (die Wachstumsrate beträgt 2,6%) verschärft sich natürlich auch die gesamte wirtschaftliche Situation, rund fünfzig Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, der Anteil der extrem armen Menschen ist laut Aussagen unserer Gesprächspartner sehr hoch.
Landschaftlich ist das Land vom Hochland und den Tiefländern an der Küste geprägt. Im Hochland im Landesinneren wird vor allem Kaffee angebaut, in den Tiefländern werden Zuckerrohr und Bananen angebaut, hier gibt es aber auch die großen, extensiv bewirtschafteten Farmen, auf denen ohne großen Personaleinsatz Rinder grasen.
Nach diesem kurzen Einblick in das Land möchte ich auf die Demokratie und die Menschenrechte eingehen und dies mit der kommenden Überschrift betiteln:
Guatemala - der mühsame Weg zur Demokratie
Die politische Vergangenheit Guatemalas ist davon gekennzeichnet, dass es immer wieder demokratische Perioden gegeben hat, die gewaltsam von militärischen Ereignissen unterbrochen wurden. Ich möchte einen kurzen Bogen in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts ziehen. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war davon geprägt, dass sich Militärs in der Regierung abgewechselt haben. 1931 wurde General Ubico zum Präsidenten gewählt, unter seiner Macht erlebte Guatemala einen wirtschaftlichen Aufschwung. Mit der Zeit wurde sein Regierungsstil immer repressiver und General Ubico wurde 1944 durch einen Generalstreik zum Rücktritt gezwungen. Ihm folgte der Lehrer Juan Jose Arévalo durch demokratische Wahlen nach. Er leitete demokratische Reformen im Land ein und konnte seine Amtszeit trotz der zwanzig Putschversuche, die gegen ihn unternommen wurden, regulär beenden. Ihm folgte sein Verteidigungsminister Jacobo Arbenz Guzmán nach, der einerseits die Innenpolitik seines Vorgängers mit demokratischen Reformen fortsetzte und andererseits 1953 eine Agrarreform durchführte. Bei dieser verteilte er brachliegendes Land, Land der aus den USA stammenden United Fruit Company und Land aus Privat- und Regierungsbesitz an die Arbeiter. Gegen diese Agrarreform machte die United Fruit Company mit Erfolg Stimmung in den USA und so marschierten die USA als Kampf gegen den Kommunismus 1954 von Honduras aus mit einer sogenannten Befreiungsarmee ein. Diese Befreiungsarmee hat ihre Unterstützung vor allem von der CIA bekommen. Arbenz trat zurück und Oberst Castillo, der die Befreiungsarmee geleitet hat, wurde zum Präsidenten ernannt und wenig später durch eine Volksabstimmung legitimiert. Er wurde drei Jahre später ermordet und ihm folgten nun immer wieder Militärs in den Präsidentenämtern. Drei Militärs sollen noch genannt werden. General Lucas Garcia, der 78 gewählt wurde und unter dem es zu einer erneuten Zunahme der Grausamkeiten gekommen ist. Er wurde von General Efrain Rios Montt 1982 durch einen Militärputsch vertrieben. Rios Montt herrschte so wie Lucas Garcia grausam über das Land. Er wurde nach kurzer Amtszeit 1983 durch den Brigadegeneral Oscar Humberto Mejia gestürzt, der wenig später aber den Weg für die ersten demokratischen Wahlen ebnete.
1985 wurde Vinicio Cerezo von der christdemokratischen Partei zum ersten frei gewählten Präsidenten gewählt. Er aber schaffte es nicht, den Bürgerkrieg zu beenden und die massiven Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden.
1991 wurde der rechtsgerichtete Geschäftsmann Jorge Serrano Elias zum Präsidenten gewählt. Er versuchte, die Gespräche mit der linksgerichteten Guerilla wieder aufzunehmen und damit den langen Bürgerkrieg zu beenden. Dies gelang aber erst seinem Nachfolger. Serrano versuchte als gewählter Präsident einen "Putsch von oben", bei dem er nach der Auflösung des Parlaments aber vom Militär zum Rücktritt ge-zwungen wurde. Das Parlament bestellte nach seiner Kapitulation den Menschenrechtsombudsmann Leon Carpio für den Rest der Amtszeit zum Präsidenten.
Der nächste Präsident war Alvaro Arzú von der nationalen Fortschrittspartei PAN, der im Jänner 96 an die Macht kam, im darauffolgenden Dezember wurden die Friedensverträge unterzeichnet. Teil der von der UNO überwachten Friedensverträge war eine Demobilisierung des Militärs und eine Übergabe der Waffen der Guerilla, aber auch soziale Reformen zugun-sten der indianischen Bevölkerungsmehrheit, die Aufarbeitung der Vergangenheit und die Überwachung der Fortschritte durch die Vereinten Nationen.
Die nächsten Wahlen fanden dann 1999 statt und die drei Personen, die einander im Ring gegenüberstanden, waren Alfonso Portillo von der FRG, Oscar Berger von der PAN und Alvaro Colom vom Bündnis DIA. Als Mann im Hintergrund wurde General Efrain Rios Montt, der ja der Begründer der FRG ist, zum Parlamentspräsidenten bestellt.
Die Wahlen 1999 hatten für Guatemala insofern eine besondere Bedeutung, weil sie die ersten freien Wahlen nach dem Friedensschluß waren. Vor allem aus diesem Grund wurden sie von der Europäischen Union und der Organisation amerikanischer Staaten beobachtet, weil sicher gestellt werden sollte, dass eine Regierung gewählt wird, die das Vertrauen der Bevölkerung hat und in freien und fairen Wahlen an die Macht gekommen ist.
Wie sind diese Wahlen abgelaufen? Die FRG von Portillo übernahm mit 63 von 113 Sitzen von der amtierenden PAN die absolute Mehrheit, Portillo wurde im zweiten Wahlgang gegen Berger zum Präsidenten gewählt.
Wie laufen nun in Guatemala Wahlen grundsätzlich ab?
Bei den allgemeinen Wahlen, die alle vier Jahre stattfinden, werden der Präsident, die Abgeordneten zum zentralamerikanischen Parlament, die Abgeordneten auf Provinzebene, die Abgeordneten auf Landesebene und die Gemeindevertretungen gewählt. Dies sind fünf verschiedene Wahlen, die am gleichen Tag abgehalten werden, fünf Wahlen mit je einem in der Regel DIN A4 bis DIN A3 großen Stimmzettel. Fünf Wah-len, bei denen die Menschen oft überfordert sind, allein durch die Komplexität der Stimmabgabe.
Wichtig für die Zulassung von Kandidaten oder Parteien zur Wahl ist der sogenannte Tribunal Supremo Electoral TSE, die oberste Wahlbehörde. Diese Behörde ist auch Schlichtungsstelle bei Unklarheiten.
In Guatemala wurden die letzten Wahlen und werden auch diese Wahlen von der inter-nationalen Staatengemeinschaft beobachtet. Es sind dies die Organisation Amerikanischer Staaten OAS und die Europäische Union, die unabhängig von einander Wahlbeobachtungsmissionen ins Land schicken. Diese Missionen werden vom Land eingeladen und erfüllen eine externe Beobachterrolle. In Zweifelsfällen sind sie es, die bestätigen, dass eine Wahl ohne größere Probleme über die Bühne gegangen ist, die durch ihre Hochrechnungen die Ergebnisse der Auszählung bestätigen oder widerlegen und die als unparteiische Aussenstehende auch Vorfälle ent-sprechend bewerten, ein Gesamturteil bilden und veröffentlichen. Im Fall der EU sind dies bei dieser Wahl rund 80 Beobachter, die teilweise bereits seit mehreren Wochen im Lande sind. Sie bereiten die Beobachtungsmission logistisch vor, beobachten die Berichterstattung in den Medien, nehmen Kontakt mit den örtlichen Wahlbehörden auf und sind auch diejenigen, die den Einsatz der sogenannten Short Term Observer koordinieren. Bei der EU sind es 20 LTO's oder Langzeitbeobachter, die seit Anfang Oktober im Land sind und 60 STO's, die in der Woche vor den Wahlen anreisen. Sprecher der Mission ist immer der sogenannte Head of Mission, in diesem Fall der griechischstämmige Deutsche Jannis Sakellariou. Er gibt seitens der EU Stellungnahmen ab und veröffentlicht am Schluß einen Endbericht. Er hat in einem Gespräch, das wir vor wenigen Wochen führen konnten, auch nochmals unterstrichen, dass die Mission selbst unparteiisch ist und dann, wenn sie eine Einladung zur Beobachtung angenommen hat, von den bestehenden Voraussetzungen ausgehen muss. Im Fall Guatemalas muss sie die Kandidatur von Rios Montt hinnehmen.
Der Einsatz eines Wahlbeobachters läuft in der Regel so ab, dass es nach der Ankunft im Land eine kurze Einführung in die konkrete Situation des Landes gibt, in die Besonderheiten des Wahlrechtes und der Parteienlandschaft und dass die Beobachter dann per PKW oder sogar per Boot an die Orte ihres Einsatzes transferiert werden. Am Tag vor der Wahl finden an einigen der Einsatzorte Gespräche mit den Verantwortungsträgern von Polizei, Militär, Gemeinden und anderen Einrichtungen statt. Am Tag der Wahl ist man zu Beginn meistens bereits um sechs Uhr bei einem Wahllokal, um die Vorbereitung der Wahl zu beobachten. Sind alle Materialien gekommen, haben sich die Wahlkommissionen richtig gebildet, kann das Wahllokal zur vorgeschriebenen Stunde öffnen? Unter Tag wechselt man von Wahllokal zu Wahllokal, wobei man bei jedem Wahllokal ca. eine halbe Stunde bis Stunde bleibt und den gesamten Ablauf beobachtet. Der langwierigste Teil der Beobachtung kommt am Abend, wenn die Wahllokale schließen und mit der Auszählung der Stimmen begonnen wird. Dies kann mit der Diskussion der verschiedenen Entscheidungen oft bis nach Mitternacht dauern... Die Beobachtungen werden statistisch ausgewertet bzw. gehen, wenn es zu Verstößen kommt, direkt in den Abschlußbericht ein. In den Tagen nach der Wahl findet das sogenannte Debriefing statt, bevor wieder die gesamte Mannschaft sich nach Europa und in die umliegenden Länder zerstreut.
Wie schaut nun das Parteienspektrum in Guatemala aus?
Gab es vor eineinhalb Jahrzehnten noch eine Handvoll von Parteien, die den traditionellen Blöcken nahe standen, so ist die Zahl der Kandidaten und Parteien in der Zwischenzeit unüberschaubar geworden. Allein zur Präsidentenwahl treten zwölf Kandidaten an, von denen die Mehr-heit am rechten Rand angesiedelt ist, die Linke ist zersplittert und schlecht organisiert und stellt leider keine wählbare Alternative dar. Guatemala ist laut einer Studie das Land in Lateinamerika, wo die meisten Parteien eingeschrieben sind. 1999 nahmen landesweit 17 Parteien an der Wahl teil, allein zwischen 1983 und 1999 wurden 41 Parteien gegründet - und verschwanden zum Teil auch wieder von der Bildfläche. Im Augenblick sind landesweit 22 Parteien registriert, die auf den verschiedenen Ebenen kandidieren. Am interessantesten sind natürlich die Präsidentenwahlen und ich möchte die Situation im Land an diesem Beispiel genauer illustrieren.
Guatemala ist ein Land, in dem sich Parteien immer um Kandidaten herum gebildet haben und mit dem Weggang des Kandidaten auch wieder an Bedeutung verloren haben. Der Ex-General Rios Montt gründete beispielsweise die republikanische Front Guatemalas FRG, er ist nach zwei erfolglosen Anläufen nun auch ihr Spitzenkandidat. Erfolglos deswegen, weil er eigentlich nicht kandidieren dürfte. Er wurde wegen geistiger Unzurechnungsfähigkeit als Diktator seines Amtes enthoben. 1985 wurde in Guatemala ein Gesetz erlassen, dass es Diktatoren und ihren Familienmitgliedern unmöglich macht, für das höchste Amt im Staat zu kandidieren. Zweimal bereits wirkte das Gesetz, nun hat er es durch mehrere Instanzen erfolglos bekämpft bis zum Schluß der von seinen Leuten dominierte Verfassungsgerichtshof im Juli diesen Jahres feststellte, dass solch ein Gesetz nicht rückwirkend gelten dürfe. Zu dem Schrecken über die Kandidatur des Ex-Diktators kommt nun die Bestürzung hinzu, dass selbst Verfassungsgesetze nicht halten und der Verfassungsgerichtshof gegen die geltende Verfassung entscheidet.
Um die Präsidentschaft bewerben sich an aussichtsreicher Stelle zwei weitere Kandidaten, die bereits bei der letzten Wahl kandidierten: Oscar Berger und Alvaro Colom. Oscar Berger gehört zu den Gründern der PAN (im Jahr 1989), der nationalen Fortschrittspartei. Er war zwei Perioden hindurch Bürgermeister der Hauptstadt Guatemala Ciudad, bevor er 1999 als Präsidentschaftskandidat kandidierte und im zweiten Wahlgang unterlagen. Diesmal kandidiert er wieder, allerdings nicht für die PAN son-dern für das von ihm mitbegründete Parteienbündnis GANA, die große nationale Allianz oder ins Deutsche übersetzt "gewinnt". Zu diesem Parteienwechsel kam es im heurigen Frühjahr, weil er sich mit dem Generalsekretär seiner Partei zerstritten hat. Dieser Wechsel hat auch laut Umfragen dazu geführt, dass die PAN, die vor kurzem noch den Präsidenten Arzu stellte, nun an Stimmen und prozentuell fast nicht mehr vorhanden ist.
Der dritte Kandidat ist Alvaro Colom, auch er kandidierte bereits 1999.
Für die Wahlen gibt es mehrere Szenarien. Kaum ein Beobachter sagt Rios Montt realistische Chancen auf die Präsidentschaft voraus, die meisten meinen, dass seine Wahl vor allem dazu da ist, dass er aufgrund seiner Immunität nicht strafrechtlich verfolgt werden kann. Sollte Rios Montt mit Oscar Berger in die zweite Runde kommen, so werden sich alle Stimmen gegen Rios Montt stellen und Oscar Berger zufallen. Heißt das Duell aber Berger gegen Colom, so nimmt man an, dass sich alle Kräfte gegen Berger richten und damit Colom Präsident wird.
Die Kandidaten mit den meisten vohergesagten Stimmen gehören alle der Oligarchie an und haben in ihren Parteien Militärs und Leute, die dem organisierten Verbrechen, d.h. dem Drogenhandel zuzuordnen sind. Es stellt sich damit keine wirkliche Alternative für diese Wahlen auf nationaler Ebene dar.
Eine große Unbekannte bei diesen Wahlen stellt das Wahlverhalten der armen Bevölkerung und da vor allem das der ländlichen Bevölkerung dar. Eine meiner Gesprächspartnerinnen hat mir vor wenigen Wochen gesagt, dass eines der Hauptprobleme in Guatemala die innere Verbundenheit der Guatemalteken darstellt.
Die Wahlkampfttruppe der Rios-Montt-Partei reist über das Land und verteilt Wahlgeschenke, die zum Teil sogar aus der japanischen Entwicklungszusammenarbeit stammen:
- Dünger für den Anbau am Feld
- Wellblech für die Dächer der einfachen Hütten oder
- Sie kommen auch in die Dörfer, geben den Leuten zweieinhalb tausend Quetzal in die Hand und sagen ihnen, dass dieses Geld ihnen gehört, wenn die FRG gewinnt, dass sie es aber zurückzahlen müssen, wenn die FRG nicht gewinnt.
Am problematischsten im Hinblick auf den Stimmenkauf ist aber sicherlich die Situation mit den sogenannten Ex-PAC's. In der Zeit von Rios Montt und Lucas Garcias wurden die sogenannten Selbstverteidigungskomitees in allen Dörfern eingerichtet. Sie waren ein Instrument der Unterdrückung, wo vor allem vermeintliche Guerilleros gefoltert wurden, verschwunden und oft grausam umgebracht wurden. Diese PAC's waren oft auch diejenigen, die für Massaker an der indigenen Bevölkerung zuständig waren. In den Friedensverträgen wurde festgehalten, dass diese paramilitärischen Gruppen aufzulösen sind, was im Prinzip auch erfolgte. Der derzeit amtierende Präsident Portillo hat allerdings in seiner Amtszeit auch eine Zusage gemacht, dass die PAC's für ihre Leistungen vom Staat entschädigt werden sollen. Von der Entschädigung wurde zum Teil ein erster Teil bereits vor der Wahl ausgezahlt, die nächsten Auszahlungen sollen nach dem Sieg der FRG erfolgen.....
Ein letzter, unabschätzbarer Einfluß, den ich anführen möchte, sind die Einschüchterungsversuche, die vor allem von FRG-Anhängern ausgeübt werden. Hier ist es so, dass diese den Menschen erklären, dass über Videokamera und Satelliten genau beobachtet werden könne, was jeder wählt... Die Strategie der staatlichen Behörden und vieler NGO's richtet sich nun daher in die Richtung, dass sie den Leuten immer wieder erklären, dass die Wahl geheim ist, dass es diese Möglichkeit der Überwachung nicht gibt und dass die Menschen niemandem eine Rechenschaft schuldig sind, sondern dass sie das Recht auf eine geheime Stimmabgabe haben.....
Ich möchte an dieser Stelle fürs erste den Block der Wahlen und der Demokratie abschließen und zum letzten Block gelangen, nämlich zum Block der Menschenrechte und ihn mit der folgenden Überschrift betiteln:
Ad 3: Guatemala - weit entfernt von der Einhaltung der Menschenrechte
In der Zeit des Bürgerkrieges gab es massive Verstöße gegen die Menschenrechte, sie dauern aber bis zum heutigen Tag an. In der Zeit des Bürgerkrieges kamen rund 200.000 Menschen ums Leben, 20.000 allein in der Zeit von Rios Montt und Lucas Garcia durch Folter und grausame Ermordung.
In Guatemala wurden in der Zeit des Bürgerkrieges rund 45.000 Menschen verschleppt, das sind 40% der weltweit verschleppten Menschen oder 50% der in Lateinamerika verschwundenen Menschen. Von diesen Menschen weiß kaum jemand, was mit ihnen geschehen ist, erst durch die Exhumierung bekommen die Angehörigen die letzte Gewißheit, dass diese Menschen tot sind.
Die Genozidfälle aus der Zeit Rios Montt und Lucas Garcia werden zur Zeit akribisch aufgearbeitet, durch die Exhumierung von Opfern, die auf den vielen geheimen Friedhöfen begraben sind, versucht man den Beweis des Genozides zu erbringen. Die Leute, die an der Aufarbeitung beteiligt sind, sind großen Gefahren ausgesetzt:
- die Archäologen, die durch ihre Arbeit die Beweise für die Ermordungen bringen
- die Rechtsanwälte, die die Verfahren vor Gericht bringen
- vor allem aber die Zeugen, die Aussagen vor Gericht machen und dadurch die Verantwortlichen und die Ausführenden der Massaker belasten.
Viele von den oben genannten Personen bekommen immer wieder Todesdrohungen, einige der Zeugen wurden auch schon umgebracht bzw. mußten ins Exil gehen. Um ihnen einen minimalen Schutz zu bieten, gibt es ein Zeugenbegleitungsprogramm, das von einer Steirerin geleitet wird. Dabei bekommen gefährdete Personen eine Begleitung, die von wenigen Stunden im Tag bis zur Begleitung rund um die Uhr geht. Vor den internationalen Menschenrechtsbegleitern schrecken doch noch manche in Guatemala zurück, weil sie Guatemala nicht als Land am internationalen Pranger sehen wollen.
Einer der bekanntesten Menschenrechtsfälle ist der des ermordeten Weihbischofs Juan Gerardi. Ich hatte bei einer Reise nach Guatemala die Gelegenheit, ihn zu treffen, er war eine beeindruckende Pesönlichkeit. Gerardi war der Begründer des kirchlichen Menschenrechtsbüros, das sich vor allem für die Promotion der Menschenrechte einsetzt. Er stellte mit einem Team einen Bericht zusammen, der die Verbrechen aus der Zeit des Bürgerkrieges auflistete und der zum Schluß kam, dass 90% der Verbrechen von den Streitkräften und paramilitärischen Gruppen verübt wurden und zehn Prozent der Verbrechen auf das Konto der linksgerichteten Guerilla gingen. Zwei Tage nach der Veröffentlichung dieses Berichtes, der unter dem Titel "Guatemala - nunca mas!", bzw. "Guatemala - Nie wieder" steht, wurde er grausam vor seiner Kirche erschlagen. Die mutmaßlichen Täter wurden zuerst freigesprochen, aufgrund einer Neuauflage des Verfahrens sitzen sie aber weiterhin in Haft.
Zu den "einfacheren" Menschenrechtsproblemen zählen die Mißachtung der Gewerkschaftsfreiheit und die zahlreichen Konflikte, die es im Bereich der Kaffeefincas gibt. Ich möchte die beiden abschließend anhand je eines Beispiels aufzeigen.
Gewerkschafter der CGTG, die der Projektpartner der Solidarität mit Lateinamerika in Guatemala ist, haben uns erzählt, dass sie vermehrt Probleme haben, innerhalb von Betrieben Gewerkschaften zu bilden. Sobald sich ein paar Personen zusammenschließen, um eine betriebliche Gewerkschaft oder einen Betriebsrat zu bilden, werden die Mitglieder dieser Gruppe ohne weitere Erläuterung entlassen. Dies führt dazu, dass es in einer Vielzahl von privaten Unternehmen keine Betriebsräte mehr gibt. Noch schlimmer ist die Situation in den sogenannten Maquiladoras, wo Frauen bei ihrer Einstellung nachweisen müssen, dass sie nicht schwanger sind.
Das zweite Beispiel, das ich bringen möchte, stammt von einer Kaffeefinca in der Nähe von San Marcos, die wir mit dem Pastoralteam der Diözese San Marcos besucht haben. Aufgrund des internationalen Kaffeepreisverfalls hat der Besitzer der Finca den Kaffeeanbau stillgelegt und seinen Arbeitern seit dem letzten Jahr keine Löhne mehr bezahlt. Auch davor betrug der Lohn statt der gesetzlich vorgeschriebenen vier Dollar Mindestlohn nur knapp einen Dollar pro Tag. Seit einem Jahr kämpfen nun die dreissig Landarbeiter beim Arbeitsgericht um ihr Recht. Vom Fincero wird der Prozeß durch Nichterscheinen etc. immer mehr in die Länge gezogen, in sehr vielen Prozessen werden auch die zuständigen Richter ganz einfach von den Großgrundbesitzern bestochen.
Man kann also festhalten, dass Guatemala im Augenblick alles andere als ein funktionierender Rechtsstaat ist. Die Situation ist in politischer Hinsicht kritisch, sie ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation äußerst kritisch und auch die Sicherheit im Land läßt zu wünschen übrig.
Vor allem die nicht staatlichen Gruppen, aber auch die Kirchen und die Gewerkschaften arbeiten daran, die Vergangenheit aufzuarbeiten und damit die Basis für eine Zukunft des Landes zu schaffen.
Ich habe bereits von den Exhumierungen gesprochen und möchte abschließend, auch wenn es nicht aufbauend sondern sehr deprimierend ist, eine Passage aus einem Interview vorlesen, das mir eine Frau in Comalapa gegeben hat, wo vierhundert Tote auf einem geheimen Friedhof vermutet werden. Sie berichtet, wie sie vor mehr als zwanzig Jahren ihren Mann verloren hat:
Mein Zeugnis ist das folgende. Mein Gatte wurde 1981 am 8. Mai entführt. Um 11.00 Uhr nachts wurde er von zu Hause abgeholt. Die Männer, die kamen, waren Privat-personen und Gerichtspersonen. Sie kamen mit drei Autos. Als sie kamen, traten sie die Tür ein, teilten Fußtritte aus, fluchten und fragten den Namen meines Gatten. Zu dieser Stunde schläft man normalerweise, und wir standen auf. In diesem Augenblick fragte er, was passiert. Wir erhoben uns. In diesem Augenblick fiel die Tür hin, ein Mann trat ein und sagte: "Hier lebt Felipe Pujon". Wir antworteten nicht und danach erhob er sich. Der Mann sagte, wir werden ihm nur eine Frage stellen und ihn dann wieder loslassen. Danach fragte ich, wieso nehmen sie ihn mit, was hat er für Verbrechen begangen, besser sie lassen ihn hier, lassen ihn hier tot. "Nein Frau, wir werden ihm nur eine Frage stellen und ihn dann lebend wieder hier lassen, nicht tot". Danach sagte er zu mir, dass ich mich besser mit den Kindern schlafen legen sollte. Aber mich erfasste in diesem Augenblick ein Schreck, eine Traurigkeit. Ich wußte nicht mehr, was ich machen sollte. Mein Mann ging hinaus und kaum war er ein wenig entfernt, verabschiedete er sich von mir. Er sagte zu mir " Adios, Carmen. Adios für immer. Pass auf meine Kinder auf." Er fing an zu weinen und sie schleppten ihn fort. Mir blieb diese Geschichte aufgrund des Abschiedes immer bewußt, ich kann sie niemals mehr vergessen. Ich hoffe, dass ich ihn finden werde und ich werde ihn dann begraben. Das ist mein Zeugnis, nicht nur das, denn danach fing ich an, mit meinen Kindern ums Überleben zu kämpfen. Ich mußte auf die Fincas arbeiten gehen, in Häusern arbeiten und meine armen, kleinen Kinder mußte ich in einer Kindergrippe lassen. Sie mußten sehr viel bis heute erleiden. Bis heute leiden wir.
Mit diesem "Bis heute leiden wir" möchte ich abschließen. Ich habe versucht, Ihnen einen Einblick in das Guatemala von heute zu geben. Ich habe einen kurzen Rückblick auf die politische Geschichte gemacht und diesen Bogen bis zu den bald stattfindenden Wahlen gezogen. Ich bin danach noch auf die Wahlbeobachtung und abschließend auf die Menschenrechtssituation eingegangen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Aufmerksamkeit und stehe natürlich für weitere Fragen gerne zu Verfügung.